2-Step

Wer bei einem Aufenthalt in London Radio hört und das dortige FM-Spektrum durchwandert, der kommt wahrscheinlich irgendwann an einer Pirate-Radio-Station zum Halten, deren Sound für den Uneingeweihten zunächst schwer einzuordnen ist:
Die Musik klingt zuerst ein wenig nach House, aber der Rhythmus ist falsch - zu ungerade und funky! Gleichzeitig toastet ein MC in krudem Cockney-Englisch über das Ganze. Assoziationen zum frühen Jump-Up-Jungle werden wach - aber dafür ist der Stil zu slow, zu soulful, zu sexy...
Es klingt vielmehr ein wenig nach amerikanischem R'n'B, abgesehen davon, daß der Sound irgendwie "druggy" klingt, aber druggy auf die falsche Art - wie Timbaland, Missy oder Darkchild auf E.

Also worum handelt es sich, bei dieser Musik ohne Namen? Es ist der jüngste Trend aus Londons multikultureller Rave-Szene, der nächste Schritt nach Speed-Garage (zugleich aber auch ein Nachfahr von Jungle). Und darüber hinaus HAT der neue Stil einen Namen, allerdings einen trockenen, rein technisch bedingten: "2 STEP" !
Dieser Name rührt daher, da der Sound auf ungeraden, abwechslungsreichen Rhythmen basiert, die nicht ins traditionelle 4-on-the-floor-Schema von Garage passen.

2-Step nahm sozusagen den Speed aus "Speed-Garage", den physikal-akustischen Gesetzen der Velocity folgend, denn durch das simple Herausnehmen jeder 2. und 4. Kickdrum aus dem 4-on-the-floor-Rhythmus klingt die stetig pulsierende Energie eines herkömmlichen House- oder Garage-Songs plötzlich wie halbiert. Dieses simple Phänomen ist vergleichbar mit der Verwendung schwerer Dub-Basslines im Jungle, die mit der halben Geschwindigkeit unter den rasenden Beats liefen (z.B. mit 80 gegenüber 160 BpM). Dabei tritt eine gleichzeitig ausgleichende und verzögernde, wie harmonische Wirkung ein. Ausserdem intensiviert 2-Step oder UK-Underground-Garage radikal einen Aspekt, der schon im frühen New Yorker Garage präsent war: Reichhaltig integrierte Percussion-Patterns, sehr klangbildend und mitunter im Vordergrund stehend. 2 Step transformiert Garage in eine Art Zeitlupen-Jungle - einen abwechslungsreichen Kosmos von Mikro-Breakbeats, Aussetzern, rhythmischen Verzögerungen und Synkopen, geprägt durch Momente, in denen der Beat kurz zu pausieren oder Atem zu holen scheint.

Abenteuerlustige 2-Step-Producer programmieren dazu irreguläre Bassdrum-Patterns, die sie mit der Bassline synkopisieren - vergleichbar mit Timbalands triple-/quadruple-/quintuple-Kicks in diversen R'n'B-Produktionen, z.B. für Aaliyah.

Um den "Energie-Defizit" zu kompensieren, erhöhen 2-Step-Producer den Funk-Faktor ihrer Songs, indem sie jedes einzelne Element simultan oder im Wechsel als Rhythmus, Melodie oder Struktur verwenden. Orgel-Einwürfe, Bläser-Hits, Rhodes- und Keyboard-Pads, soulige Vocal-Licks, alles muss sich zusammen fügen wie ein einziges Percussion-Pattern, bis das Backing alleine schon ohne den Gesang Ohrwurm-Qualitäten aufweist.

Der Rhythmus ist nicht länger allein das Fundament eines Songs - die Beats, die verschiedenen Instrumente, die Vocals - sie alle sind gleich bedeutend! Jeder von ihnen kann zu einer bestimmten Zeit den Hook darstellen, der letztlich im Gedächtnis des Hörers haften bleibt. Beim traditionellen New York-Garage wird noch das "klassische" Vocal-Konzept verfolgt, das den Gesang über den Groove stellt. Konträr dazu werden im 2-Step die Vocals wie ein weiteres Instrument genutzt. Sie werden gesampelt, im Computer in "Slices" zerschnitten und dann stakkatoartig, perkussiv in den Groove eingefügt.

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